16:35 Uhr. Das Handy klingelt. Eine mir unbekannte Nummer erscheint auf dem Display. Anruf aus dem Krankenhaus. Eine freundliche und doch hörbar betroffene und vorsichtige Stimme meldet sich. Verena*. Sie ist Hebamme in der Klinik und will wissen, ob ich es einrichten könne, heute Abend noch ein Sternenkind zu fotografieren. *schluck* Stille – kurze Pause.
Ein Mädchen. Paula*. Nur wenige Tage über dem errechneten Geburtstermin. „Sie wird wohl im Laufe des Abends noch kommen,“ höre ich am anderen Ende der Leitung – "wohl auf natürlichem Wege, aber sie ist schon gestorben." Ich melde kurz zurück, das ich Zeit habe und die Aufgabe gerne übernehme. Sobald Paula da sei, würde sie sich sofort telefonisch melden. Ok. Klingelton auf maximale Lautstärke und ab nach Hause. Bin gedanklich nicht immer beim Straßenverkehr…
Mein erster Einsatz. Was wird mich erwarten? Doch diese Gedanken verlieren sich sofort wieder. "Ich werde doch bloß nur die Fotos machen. Das ist das kleinste Problem, was es z.Zt. auf der Welt gibt", sage ich zu mir. Da sind Eltern, die gerade ihr geliebtes Kind verloren haben. Deren Hoffnungen und Vorfreude innerhalb weniger Minuten zerplatzt sind wie Seifenblasen. WOW. Was für ein Verlust, was für ein Schmerz für die Eltern. Bis vor wenigen Stunden noch in froher Erwartung. Und nun das. Vom Gipfel der Vorfreude und Erwartung in die tiefsten Tiefen der Enttäuschung und Trauer… Wie werde ich damit umgegen? Was macht das mit mir? Wie werde ich reagieren? Ich horche immer wieder in mich hinein und merke, wie es mich zwar berührt, aber nicht lähmt. Ich bin im bereits im "Planungsmodus"…
Zuhause angekommen setze ich mich erst mal an meinen Schreibtisch. Halte kurz inne, denke und spüre nach, was zeitgleich in diesen Augenblicken im Krankenhaus geschieht. Dann packe ich meine Technik zusammen. Lichtstarke Objektive werde ich wohl benötigen, Speicherkarte ist drin! *Check* - Akku aufgeladen. Alles ok.
Eine liebe Freundin, Frauke Goseberg (www.gosebaer.de), hat die sensationelle Gabe des Handarbeitens. Pünktlich zu meinem Geburtstag vor einer Woche erreichte mich eine kleine und zumal kostenlose Lieferung mit feinen Wollsachen für Sternenkinder. Einfach so geschenkt. Danke, liebe Frauke. Ich packe diese mit viel Liebe zum Detail geschaffenen Dinge in eine schöne Tasche. Nehme mir noch etwas Zeit und schreibe ein paar Zeilen der Anteilnahme auf eine hübsche Karte, die ich für diese Fälle schon besorgt hatte und verstaue mein Fotoequipment im Rucksack. Das Handy klingelt. Es ist so weit. Paula ist da.. Verena begrüßt mich freundlich am Eingang zur Entbindungsstation. Plötzlich fällt alle Anspannung ab und ich bin völlig ruhig. „Wir sind noch mit ihr allein" sagt Verena, die Hebamme. "Ich hole Paula. Die Eltern brauchen noch Zeit.“ Sie führt mich in eines der gemütlich eingerichteten Zimmer und ich warte gespannt, bis Verena mit Paula zurückkehrt. Es ist so still und friedlich hier. Die Kameraeinstellungen sind schnell eingerichtet. Das Licht passt.
Paula ist einfach eine Süße. Eine kleine Prinzessin. Wunderhübsch. Dunkle kräuselige Haare… Alles dran. „Ein fertiger Mensch“ denke ich. Was auch sonst. 41. Woche. Da passt alles. Nur – dass ihr kleines Herz eben nicht mehr schlägt. Wie traurig. Ich fasse es nicht. Sie ist noch warm, die Beinchen werden langsam ein wenig steif und zusammen mit Verena, die sie behutsam und sehr liebevoll in eines der von mir mitgebrachten Wolldeckchen einkuschelt und auf ein weiches Kissen legt, stehe ich fassungslos und berührt vor diesem kleinen Mensch. Realisiere langsam, was hier geschehen ist. Der Mund der Kleinen ist zu einer süßen Schmollschnute geformt. So, als würde sie einfach nur schlafen und abwarten, bis dieser Alptraum hier vorbei ist...
Ich mache ein paar Fotos von ihr, wie sie so da liegt. Fotos von ihren zarten kleinen Füßchen und Händchen und ihrem hübschen Gesicht. Ein berührender und sehr sehr nahegehender Moment. Sogar jetzt noch, während ich diese Zeilen schreibe. Die Eltern schaffen es noch nicht. Sie wollen nicht mit auf's Foto. Ich habe großen Respekt vor ihrer Entscheidung und versuche ihren Schmerz und ihre Trauer zu verstehen.
Die Fotos von Paula sind nur für die Eltern. Nur sie erhalten die Abzüge oder die Dateien. Sie sollen und werden sich erinnern an ihre kleine süße Tochter Paula, auf die sie sich so sehr gefreut haben und die die Mutter in ihrem immer runder werdenden Bauch schon viele Monate lang spüren und erleben durfte. Dann, wenn gedankliche Erinnerungen verblassen, dann können diese Fotos helfen, zu verarbeiten, und werden die Erinnerung wach halten an ihr geliebtes Kind, von dem Gottes Plan war, es zu sich zu holen. Verstehen können wir das nur schwer. Er macht keine Fehler. Denn er ist Gott – wir sind es nicht.
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*HINWEIS: Aus Rücksicht auf die trauernden Eltern und zum Schutz der Privatsphäre wurde auf die Ortsbeschreibung verzichtet und die Namen geändert. Die Fotos stammen ebenfalls nicht von diesem Einsatz.
Weitere Informationen zur Arbeit im Sternenkinder-Projekt findest du in meinen Blogeinträgen
„Fotografen gesucht! - Wenn Neugeborne plötzlich sterben" und
GELIEBTE
STERNENKINDER
"Wenn Kinder sterben, ist das für die betroffenen Eltern eine absolute Ausnahmesituation."
MITHELFEN ZU
VERARBEITEN
"Eigentlich war es für mich keine wirkliche Frage, hier mitzuhelfen und meine „fotografische Begabung“ sinnvoll einzusetzen."
KOSTENLOS HEISST KOSTENLOS
"Alle Kosten werden von mir selbst getragen. Es ist ein rein humanitäres Geschenk an die Sternenkindeltern."
WERTVOLLE
ERINNRUNG
"Irgendwann verblassen die eigenen Bilder im Gedächtnis der Eltern und dann können Fotografien eine wertvolle Unterstützung sein."
"Du bist nicht mehr da, wo du warst,
aber du bist da, wo wir sind.
Der Mensch wird nicht sterben,
solange ein anderer sein Bild im Herzen trägt."
- Verfasser unbekannt
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